WIR? COTOCA? SICHER NED!

Wallfahrt Nummer Zwei

Cotoca ist eine typische ländliche südamerikanische Kleinstadt. Die Kirche Cotocas beherbergt den Schrein mit der Schutzheiligen von Santa Cruz, der Jungfrau von Cotoca und ist ein Pilgerziel. In der Nacht vom 7. auf den 8. Dezember (und wie uns die Einheimischen verrieten auch von 14ten auf 15ten) findet ihr zu Ehren eine Prozession von Santa Cruz nach Cotoca statt.

 

Der Weg nach Cotoca war ziemlich steinig. Nicht in landschaftlicher Hinsicht, sondern hinsichtlich der Möglichkeit für uns die Reise durchzuführen. Streng genommen ist es uns untersagt, nach 18:30 das Haus zu verlassen und mit einem nachts stattfindenden drei bis vierstündigen Fußmarsch ist diese Regel nur relativ schwer vereinbar.


Dadurch, dass unser Terminplan mit Kekse backen, Weihnachtseinkäufen, Proben für Krippenspiel und Weihnachtsmesse und unzähligen weiteren kleinen und großen Aufgaben, schon relativ gefüllt oder fast schon überfüllt ist, hatten wir den Marsch nach Cotoca eigentlich gar nicht in Erwägung gezogen.
Als dann aber immer mehr Familien und Bekannte uns fragten, ob wir uns dieses Spektakel, welches vor allem auch kulturell spannend wäre, wirklich entgehen lassen wollten, überdachten wir unsere vorherige Einstellung: "Noch Cotoca? Sicher ned!" und entschieden, dass wir dieses einmalige Ereignis doch auch miterleben wollten.
Wie gesagt gibt es Regeln und das ganze zu ermöglichen war gar nicht so einfach, doch mit der Erlaubnis nicht nur der in Bolivien stationierten Projektleiterin (Leonor) sondern auch der Zusage von Anna-Maria erklärte sich unsere Hausmama Rosmery schließlich bereit uns unter ihre Fittiche zu nehmen und erlaubte uns sie zu begleiten. Wir packten also unsere Wasserflaschen ein und machten uns auf die Pilgerreise. Ich weiß nicht wie man sich das ganze vorstellt wenn man es nicht erlebt hat, aber im Grunde gestaltete es sich so: Rosmery, ihr Mann Fernando, ihre Tochter Marifer und ihr Neffe Luis fuhren mit uns gemeinsam zur "Carretera Cotoca", einer großen Landstraße, an der sich etwa 20 Kilometer von Santa Cruz entfernt, die Kleinstadt Cotoca befindet.

Die linke Fahrspur der Carretera Cotoca war gesperrt und auf ihr bewegte sich ein nicht enden wollender Strom an Menschen in Richtung Osten. Den Rand der Straßen säumten unzählige Stände, an denen vorwiegend Essen, aber auch andere Dinge wie Schuhe oder Regenschirme verkauft wurden. Als wir uns in die Menschenmenge einreihten durften wir beobachten, wie in der Motorhaube eines Autos gegrillt wurde, wie am Straßenrand große Stangen Zuckerrohr zerhexelt und zu Saft gepresst wurden, oder wie Menschen sich einfach auf der Straße oder am Straßenrand auf den Boden legten um zu schlafen.

Ich hatte immer wieder Angst, dass wir in der Menschenmenge jemanden von unserer Gruppe verlieren würden, doch wie sich herausstellte, war dies gar nicht so einfach wie ich mir das ausmalte, denn da alle dasselbe Ziel hatten, lief man sich früher oder später wieder über den Weg. So ging es uns zum Beispiel mit den Tías unseres Kindergartens, welche, als wir einmal eine kurze Pause einlegten, an uns vorbeimarschierten.

Wir passierten einige Orte, welche wir in der Vergangenheit schon einmal besucht hatten, beispielsweise den Memorial Park und den botanischen Garten.

Mich packte schon immer mehr die Müdigkeit, doch da erblickten wir am Horizont ein Feuerwerk. Beschwingten Schrittes setzten wir unseren Weg fort. Schon bald wurden die endlosen Mauern, Bäume und die unbelebte Landschaft zu beiden Seiten der Straße ersetzt durch erste kleine Hütten, auch durch die Stände am Straßenrand konnten wir unsere baldige Ankunft erkennen, denn statt Essen und Trinken wurden nun vermehrt Kerzen und Rosenkränze verkauft.
Schließlich erreichten wir die Kleinstadt, hier waren die Menschenmassen mehr gedrängt, es wurde dichter und die Gefahr sich zu verlaufen größer, also gaben wir acht, beisammen zu bleiben. Der Menschenstrom wälzte sich die Straße hinunter bis zur Kirche. Immer wieder hatten wir Menschen in der Menge bemerkt, welche mit Campingausrüstung ausgestattet waren und auf den letzten Metern vor der Stadt wurden auch immer mehr Zelte verkauft. Jetzt wo wir mit unzähligen anderen in einen Innenhof vor der Kirche geschwemmt wurden, bemerkten wir, das überall um uns herum Menschen Decken ausgebreitet und sich vor der Kirche zum Schlafen hingelegt hatten. Die ganze Szene war sehr surreal und so wandelten wir wie in einem Traum über den Hof, vorsichtig, um nicht versehentlich auf jemanden zu treten.

Wir gingen die Stufen hoch zu einer Stelle, an der sich die Menschen besonders dicht zusammendrängten, wie uns Rosmery erklärte, zündeten sie hier Kerzen an. Ihre Familie hatte bei einem der Stände auch einige Päckchen mit jeweils zehn langen dünnen Kerzen erstanden und so quetschten sie sich durch das Gedränge zu einem großen Becken in der Mitte. Das Becken war erleuchtet von unzähligen Kerzen, da jede Person nämlich nicht nur eine, sondern gleich das ganze Päckchen von Kerzen anzündete.

Als alles zu ihrer Zufriedenheit brannte, stolperten wir über den Hof zum Seiteneingang der Kirche.
Im Mittelgang hatten sich unzählige Menschen in einer Warteschlange aufgestellt, um die Virgen zu berühren, ein Selfie mit ihr zu machen oder sich einfach nur bei ihrem Anblick aus der Nähe erfürchtig zu bekreuzigen. Da wir alle schon ziemlich müde waren, wurde beschlossen, dass wir uns nicht anstellen würden.

Als wir nach einem kurzem Gebet in der Kirche wieder nach draußen gingen, erblickten wir erst die vollen Ausmaße der Schlange, denn diese erstreckte sich über den ganzen Vorplatz vor der Kirche. Auch hier lagen überall verteilt friedlich schlafende Gestalten am Boden, während um sie herum Massen an Menschen in verschiedenste Richtungen drängten. Die Messe wurde, da in der Kirche die Warteschlange zur Virgen den Platz einnahm, draußen auf einer Bühne gefeiert. Wir lauschten noch kurz, machten uns dann jedoch auf den Weg zur Micro.

Die Heimfahrt dauerte ewig, da sich die Micro verfuhr, schließlich schafften wir es jedoch, um 3 Uhr zu Hause zu sein und totmüde in unsere Betten zu fallen.

Auf jeden Fall war diese Wallfahrt verbunden mit unzähligen neuen Erfahrungen, auch wenn die Beschreibung dieser mir wirklich schwer fällt..
Das muss man echt erlebt haben!

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Kommentare: 1
  • #1

    Hannelore (Montag, 11 Dezember 2017 21:43)

    Länger pilgern möcht ich schon lang mal. So dicht gedrängt stelle ich mir das aber nicht sehr besinnlich vor ;)